Mit 34 betroffenen Familien aus elf Ländern, elf Referenten und weiteren fünf interessierten Ärzten und Professoren, markiert die 7. Europäische Familienkonferenz in Würzburg nicht nur statistisch einen Rekord. Sie war auch ein beeindruckender Höhepunkt in der noch jungen Vereinsgeschichte von Hand in Hand gegen Tay-Sachs und Sandhoff in Deutschland e.V.

Jedes Jahr sind es ein paar mehr Familien, die aus ganz Europa zu den jährlichen Treffen reisen, um sich mit anderen betroffenen Familien auszutauschen, das schwere Schicksal der Erkrankung zu teilen und sich gegenseitig Kraft zu geben. Nach Paris, London und Madrid, war dieses Jahr Deutschland mit der Organisation an der Reihe. Wir beschlossen, das Treffen in Darios Heimatstadt Würzburg auszurichten. Schließlich ist sein Lebenswille und seine Kraft, trotz der Schwere seiner Erkrankung die Freude am Leben nie zu verlieren, die größte Motivation für seine Eltern, sich für die anderen Familien und im Kampf gegen die Krankheit zu engagieren.

Ein Kampf, den wir nur gemeinsam mit den anderen Familien in Europa gewinnen können.  Erste Erfolge sind in Sicht. Die waren dann auch Schwerpunkt der Vorträge im medizinischen Teil der Tagung im Barbarossa-Saal des Maritim-Hotel Würzburg.

In diesem Jahr werden Tay-Sachs und Morbus Sandhoff erstmalig in Europa in eine klinische Studie aufgenommen. Der Wirkstoff N-Acetyl-L-Leucine lindert vor allem die mit der Krankheit verbundene Ataxie und andere motorische Einschränkungen, man hofft aber weitere Verbesserungen für die Patienten mit diesem Medikament zu erreichen.

Die Pharmakologin Professor Frances Platt aus Oxford betrieb die Grundlagenforschung, der Münchner Neurologe Prof. Michael Strupp organisierte individuelle Heilversuche mit Patienten aus unserer Selbsthilfegruppe und Taylor Fields aus dem Führungsteam der Firma Intrabio organisiert die klinischen Studien. Alle drei gaben in Würzburg einen Einblick in ihre  Arbeit, deren Erfolg und berichteten vom Aufbau der Studie, die in wenigen Wochen an den Start gehen wird. Sie wendet sich an  adulte und juvenile Formen der Erkrankung und wird in Deutschland aktuell an den Unikliniken in München und Gießen durchgeführt.

Prof. Timothy Cox

Ein weiterer Schwerpunkt des medizinischen Teils war das Thema Substratreduktion. Professor Timothy Cox aus Cambrigde und Frances Platt berichteten von sehr vielversprechenden Wirkstoffen. Denn wenn die Substanzen, die durch die Stoffwechselstörung der Krankheit schlecht abgebaut werden können, weniger produziert werden, kann das eine segensreiche Wirkung für die Patienten haben. Noch ist aber kein Substrathemmer für Tay-Sachs und Morbus Sandhoff zugelassen. Doch es gibt Hoffnung, dass auch hier eine klinische Studie Abhilfe schafft und den Patienten eine neue Behandlungsoption angeboten werden kann.

Dr. Gavin R. Corcoran

Dritter Schwerpunkt war die Gentherapie für die Krankheit. Professor Cox informierte über seine Arbeit an einer Gentherapie. Dr. Gavin R. Corcoran von der Pharmafirma Axovant berichtet von einer geplanten klinischen Studie in den USA. Sie zielt darauf ab, die Funktion der ß-Hexosamidase A wiederherzustellen, indem eine funktionelle Kopie der HEXA- und HEXB-Gene in den Körper eingeschleust wird.

Prof. Konrad Sandhoff bei seinem Eröffnungsvortrag

Über neue Studiendesigns für Seltene Krankheiten berichtete Professor Michael Beck von der Uniklinik Mainz. Die unterschiedlichen Krankheitstypen, was sie unterscheidet und welche Behandlungsoptionen sich daraus ergeben, war das Thema von Dr. Eugen Mengel. Professor Andreas Hahn von der Uniklinik Gießen referierte über die speziellen Epilepsie-Formen, die die Krankheit bei vielen  Kindern auslöst und was dagegen getan werden kann. Dr. Mario Codero von der Universität Sevilla erforscht den Inflammasomkomplex, der mit der Krankheit einhergeht. Und Dr. Tatiana Bremova (Bern) stellte eine Studie vor, in der sie die ersten Symptome der Krankheit zusammenfassen möchte um die Diagnose zu beschleunigen. Denn bei seltenen Krankheiten dauert es oft sehr lange, bis die richtige Diagnose gestellt werden kann. Mit Fragebogen und Einzelinterviews nutzte sie die Tagung hier die Erfahrungen der Familien einzusammeln, was ihnen bei ihrem Kind als erstes aufgefallen ist. Ein wichtiger Beitrag, um erste Auffälligkeiten zu beschreiben, mit denen Ärzte, die unmöglich alle seltenen Erkrankungen kennen können, schneller die richtige Diagnose stellen zu können.

Eröffnet wurde die Tagung von Professor Konrad Sandhoff, der 1968 die nach ihm benannte Variante der Krankheit entdeckte und beschrieb. Er erklärte in einem beeindruckenden Vortrag, welche Einflüsse, Faktoren und Wechselwirkungen bei Tay-Sachs und Sandhoff eine Rolle spielen. Zuvor hatte Professor Helge Hebestreit vom Zentrum für Seltene Erkrankungen der Universitätsklinik Würzburg die Gäste begrüßt.

Doch nicht nur die Vorträge hochrangiger Wissenschaftler machten diese Tagung aus, sondern die vielen intensiven Momente der Begegnung starker Eltern und starker Kinder, die gemeinsam einen schweren Kampf führen. Diese Momente fängt schon seit Jahren Birgit Walter-Lüers mit ihrem Fotoapparat für unsere Selbsthilfegruppe ein. Sie macht dies komplett ehrenamtlich, will Erinnerungen schaffen. Wir sind ihr sehr dankbar dafür.

 

Neben den wissenschaftlichen Vorträgen steht der Austausch der Familien untereinander im Mittelpunkt. Viele Familien treffen sich nur einmal im Jahr. Einige Familien, die gerade erst die schlimme Diagnose bekommen haben, tauschen sich mit Familien aus, die teilweise schon seit Jahren mit der Krankheit leben.

Familien, die bereits ihre Kinder verloren haben, kommen weiter zu den Treffen, unterstützen sich gegenseitig und geben sich Kraft.

Besonders aufregend, wenn die Familien am ersten Tag nach und nach ankommen und sich in die Arme fallen. In einer großen Gruppe sind wir anschließend über das Würzburger Kiliani-Volksfest gezogen. Die neuen Familien wurden gleich in die Mitte genommen.

Und beim festlichen Abendessen gab es weiter Zeit zum Austausch, weinen und lachen. Mit der „Jimmy“ Fotobox konnten lustige Erinnerungen gemacht werden. Denn so schlimm die Krankheit ist, gemeinsam zu lachen, ist auch eine Therapie. Der Würzburger Bundestagsabgeordnete und Medizin-Professor Andrew Ullmann (FDP) besuchte uns am Abend, sprach ein Grußwort und traf mit Dr. Garvin R. Corcoran völlig überraschend auf einen alten Weggefährten aus seiner USA-Forschungszeit.

Die deutschen „Dragon-Mums“ 2019!

Aber auch für die insgesamt rund 30 Kinder, darunter viele gesunde Geschwisterkinder, gab es ein eigenes Programm, mit Hilfe von „Spiel und Spaß“ und einem Auftritt von Darios Lieblingszauberer „ZaPPaloTT“, der die Kinder fast den ganzen Nachmittag immer wieder zum Lachen brachte. Alle trugen ein grünes Halstuch, das die Großmutter eines betroffenen Kindes für alle genäht hatte. Sie hatte unter anderem auch spezielle Bodys und Kissen für die Kinder genäht.

Erstmalig nahmen  an einer europäischen Familienkonferenz sechs betroffene Erwachsene und acht Kinder/Jugendliche mit einer juvenilen Form teil.

Insgesamt acht Sprachen wurden bei diesem Treffen gesprochen. Dem gegenseitigen Verständnis  – manchmal auch ohne viele Worte, tat dies keinen Abbruch. Die Vorträge wurden alle in englisch gehalten, aber es gab eine deutsche Simultandolmetschung für die 17 in Deutschland und der Schweiz lebenden Familien. Dies übernahm die Würzburger Dolmetscherschule, die ein Schulprojekt daraus machte und diese wichtige Dienstleistung zum großen Teil sponserte. Die nötige Technik wurde von der Firma PCS Konferenztechnik gesponsert. Einen großen Teil der Tagungskosten übernahm im Rahmen der Projektförderung die Siemens Betriebskrankenkasse SBK. Weitere Unterstützung bekamen wir von den Charitys der ETSCC, der Robert-Vogel-Stiftung, der Stiftung der Sparkasse Mainfranken und der Stiftung „Kindness for Kids“. Wir danken unseren Sponsoren und den Helfern aus unserem Verein, Andreas Kemper, der Referenten vom Flughafen abholte, Chris Full und seiner ganzen Familie, die beim Auf- und Abbau halfen, KIWI zuhause für die Betreuung von Dario, Miriam und Andi Grill für die „Jimmy-Fotobox“ und Ralf Thees und Sarah Pelzl, die sich zwei Tage lang am Konferenzempfang um unsere rund 150 Gäste kümmerten.

Alle europäischen Selbsthilfegruppen (CATS, ACTAYS, VML, Hand in Hand) stellten sich im Laufe der Tagung kurz vor. Besonders schön: In Portugal hat sich in diesem Jahr mit „DOCE“ eine neue Gruppe gefunden, die mit drei Familien gekommen war und in die ETSCC aufgenommen wurde.