Das evangelische Sonntagsblatt für Bayern hat unsere Geschichte zum Tag der Seltenen Erkrankungen aufgeschrieben. Vielen Dank Inge Wollschläger, die sich mit sehr viel Gefühl in unsere kleine Welt begeben hat. Es gibt auch ein Editorial von ihr zu unserem Leben im Heute. Alles findet sich online hier: http://www.evangelisches-sonntagsblatt.de/index.php?id=2157

Im Moment leben

Ist es der Mutterinstinkt? Birgit Hardt kann es nicht beschreiben. Aber im Nachhinein weiß sie: Ihr Gefühl hat sie nicht betrogen. Auch wenn ihr von vielen eingeredet wurde, dass sie übertreibt. Vater Folker Quack bemerkte auch, dass mit Sohn Dario etwas nicht stimmte, schob es aber darauf zurück, dass das Kind eben ein Spätentwickler sei. Kein Grund also erst einmal zur Sorge. Ärzte und Therapeuten gaben den Eltern mit auf den Weg: „Nehmen Sie es wie es ist!“Der bald achtjährige Dario, das Kind von Birgit Hardt und Folker Quack, leidet an einer seltenen Erkrankung – einem genetisch bedingten Enzymmangel. Die Krankheiten heißen wie ihre Entdecker Tay-Sachs und Sandhoff. Betroffene Kinder verlieren nach und nach alle ihre Fähigkeiten: Laufen, greifen, essen, lächeln. Alles wird immer schwerer und verschwindet irgendwann ganz. Viele Kinder erblinden, werden taub und sterben noch im Kindesalter. Jahrelang hat es gedauert, bis bei dem fröhlichen Jungen Dario klar war, woran er leidet. „Es hat uns nicht genügt, uns mit dem Schicksal abzufinden. Wir waren verzweifelt.“
Wenn man nicht weiß, woran das eigene Kind leidet, wird man nie einen Weg finden, das Leid zu lindern oder gar zu heilen. „Man möchte auch begreifen, was da passiert. Auch um zu klären, ob man möglicherweise selber Schuld sein könnte, wie einige Therapeuten meinten“, so Birgit Hardt. Selbst in der eigenen Familie wollte man nicht wahrhaben, dass Dario „anders“ sein könnte. Heute wissen die Eltern: je früher eine richtige Diagnose gestellt wird, desto mehr kann man bewirken. „Solange man keine Diagnose hat, ist man wie in einem luftleeren Raum“, so Folker Quack.
Als Dario vier Jahre alt war, begannen epileptische Anfälle. Er verlor nach und nach alle Fähigkeiten, die er bis dahin konnte. Die Suche nach Ärzten gestaltete sich schwierig. Darios behandelnde Ärzte selbst hatten ein Krankheitsbild, wie es bei Dario vorlag, noch nie gesehen. Sie waren überfragt.
Nach vielen Monaten, unzähligen Arztbesuchen und Krankenhausaufenthalten bestätigten sich ihre schlimmsten Befürchtungen: Dario leidet an einer seltenen Form von Morbus Sandhoff. Diese Verlaufsform wird weltweit auf 30 Fälle geschätzt. „Es zog uns die Füße weg – gleichzeitig waren wir erleichtert, weil wir nun endlich einen Namen hatten“, beschreibt die Mutter ihr damaliges Gefühl.
Der behandelnde Arzt gab den Eltern den Rat mit auf den Weg, besser nicht über diese Krankheit zu sprechen. Er hatte oft erlebt, dass Kinder stigmatisiert werden. Und tatsächlich wandten sich Freunde ab. Sie wollten mit diesem Schicksal nicht konfrontiert werden.
Und Dario selbst? Das Kind, das einige Ärzte schon aufgaben, ist ein fröhliches Schulkind geworden. Aktuell zieren Zahnlücken sein Grinsen. Damit dieses Lachen noch so lange wie möglich erklingt, unternehmen die Eltern vieles. Gemeinsame Besuche bei Puppenspielern und Zauberern, die Dario über alles liebt.
Kuschelstunden zu jeder Uhrzeit und viele Therapiestunden, damit Darios derzeitige Fähigkeiten erhalten bleiben. Sie wollen so viel glückliche Momente wie möglich in sein möglicherweise kurzes Leben füllen. Dario genießt es, und seine Eltern sorgen so für gute Erinnerungen.
Irgendwann war für die Familie klar: Schweigen ist nicht der richtige Weg für uns. „Wir kamen an einem Punkt in eine ungewollte Erklärungsnot, was denn nun mit Dario los sei“, erzählt der Vater.
Sie gründeten eine Selbsthilfegruppe.
„Das ist eine wichtige und richtige Entscheidung für uns gewesen. Sich mit Gleichgesinnten zu treffen, mit anderen zu reden, ist so wichtig für uns geworden.“
Abends glüht Ihr Computer. Dann schreiben beide mit betroffenen Menschen aus der ganzen Welt und tauschen sich aus. Durch internationale Familienkonferenzen sind sie gut vernetzt. Gemeinsame Treffen mit Familien aus der Schweiz, ganz Europa finden regelmäßig statt. „Es ist ein anderes Verständnis da bei diesen Familien. Sie wissen, was wir erleben, wie es uns geht – auch ohne viele Worte. Sie haben oft die selben Erfahrungen gemacht wie wir. Es tut einfach gut“, fasst Birgit Hardt diesen Austausch zusammen.
Der Vater eines erkrankten Jungen wollte zu solchen Treffen erst nicht kommen. „Was soll ich da? Davon wird es nicht besser!“ Folker Quack schmunzelt, wie dieser Vater eines Besseren belehrt wurde. Er kam ohne Hoffnung und ging sichtlich gelöst: “ Obwohl uns ein schweres Schicksal verbindet, konnten wir auch gemeinsam lachen. Hier habe ich das erste Mal seit Langem wieder gemerkt: Das Leben geht weiter.“
Auch für die kleine Familie aus Höchberg bei Würzburg geht das Leben weiter. Anders, als sie es sich vor Jahren ausgemalt hatten. Sie wagen jetzt Dinge, die früher undenkbar gewesen wären: Öffentlichkeitsarbeit, Soziale Medien und neue Wege für sich selbst und Dario. Über Weihnachten waren sie auf Teneriffa. Das Kinderprogramm gefiel Dario ausgesprochen gut. Wie er es überhaupt am liebsten hat, wenn Trubel um ihn herum ist. „Aus Geschenken macht er sich nichts. Er möchte was erleben. Das hatten wir in Teneriffa.“ Dort trafen sie auch eine Familie, die ebenfalls ein krankes Kind hat. „Wir konnten kein Spanisch. Englisch war auch schwierig. Aber wir haben uns auf einer Ebene verstanden, die einfach gut tat! Es fühlte sich an, als ob wir zuhause gewesen wären“, schwärmt die Mutter.
Sie sammeln Spenden für ihren gegründeten Verein „Hand in Hand gegen Tay-Sachs und Sandhoff“ und organisieren internationale und nationale Familientreffen. Sie wollen die Krankheit ihres Sohnes nicht mehr verstecken. Sie wollen glückliche Momente einfangen, so lange es möglich ist. Sie haben durch Dario gelernt, im Moment zu leben und nichts mehr aufzuschieben. Gelebt wird jetzt.
Wer mehr Informationen über diesen Verein oder die Krankheit erfahren möchte, kann sich auf www.tay-sachs-sandhoff.de informieren. Dort gibt es auch einen Link, wie man z.B. bei Einkäufen Gutes tun kann. Jeder Umsatz bringt eine kleine Spende.
Inge Wollschläger