Zum Tag der Seltenen Erkrankung 2021 haben wir eine aktuelle Version unserer Geschichte mit der Krankheit unseres Sohnes Dario aufgeschrieben und verschiedenen Medien zur Verfgung gestellt. Sie ist bislang in der Saalezeitung und in der Main-Post erschienen. Wir hoffen aber sehr, weitere Journalistinnen und Journalisten fr unser Schicksal, unsere Arbeit und die seltenen Krankheiten Tay-Sachs und Morbus Sandhoff interessiert zu haben. Hier die Geschichte:
Trotz schrecklicher Diagnose nie aufgegeben
Dario aus Würzburg leidet an einer schweren und sehr seltenen Krankheit Wie seine Eltern nach dem ersten Schock andere Betroffene gesucht und gefunden haben
Von Folker Quack und Birgit Hardt
Den Moment, als wir die Diagnose Morbus Sandhoff für unseren damals vierjährigen Sohn Dario bekamen, werden wir nie vergessen. Zu dem Schock, dass unser einziges Kind nach und nach alle seine Fähigkeiten verlieren und viel zu früh sterben wird, kam die Einsamkeit mit dieser Diagnose, die wir zunächst für uns behielten. Dario sollte nicht den Stempel todkrankes Kind aufgedrückt bekommen. Denn ihm ging es gerade wieder gut, er hatte nach seinem Zusammenbruch ein Jahr zuvor Fähigkeiten zurückgewonnen. Er konnte wieder laufen und vor allem herzhaft lachen. Selbst die Epilepsie war verschwunden, schien besiegt.
Wir wollten Dario gute und fröhliche Eltern sein, wir wollten ihm so viel normale Kindheit wie möglich schenken, geweint haben wir nur am Abend, wenn Dario schlief. Dann recherchierten wir auch Nächte lang im Internet. Gibt es nicht doch irgendwo auf der Welt ein Forschungsprojekt für unsere seltene Krankheit. Müssen wir wirklich mit diesem Schicksal alleine bleiben? Die Ärzte machten uns wenig Hoffnung: Die Krankheit sei so selten, eine andere Familie, noch dazu aus Deutschland, würden wir wohl kaum finden. Und da es nur so wenige Patienten gibt, dürfte auch das Interesse der Pharmaindustrie, teure Studien zu finanzieren, sehr gering sein.
An Aufgeben dachten wir trotzdem nicht eine Sekunde. Wir waren das unserem Sohn schuldig, wenn es eine Hilfe gibt, soll er sie bekommen. Und wir waren es uns schuldig, denn auf Dauer hätten wir die Situation, ganz allein mit diesem Schicksal klarkommen zu müssen, nicht überstanden. Natürlich gab es Unterstützung von der Familie, im Freundeskreis aber die meisten waren mit diesem Schicksal überfordert. Eltern in dieser Situation brauchen kein Mitleid, sondern vor allem Verständnis. Inzwischen wissen wir, dieses Verständnis gibt es nur zwischen Familien, die dasselbe Schicksal tragen müssen.
Heute reiben wir uns manchmal die Augen und können gar nicht glauben, was in den vergangenen sieben Jahren passiert ist und gerade noch passiert. Im Januar 2015 gründeten wir die Selbsthilfegruppe Hand in Hand gegen Tay-Sachs und Sandhoff e.V., weil wir in anderen europäischen Ländern gesehen hatten, dass eine solche Gruppe die Voraussetzung ist, andere betroffene Familien im eigenen Land kennenzulernen. Und auch in Deutschland sollte keine Familie mit diesem Schicksal mehr alleine bleiben.
Inzwischen haben fast 40 betroffene Familien aus Deutschland, der Schweiz und Österreich den Weg in unsere Gruppe gefunden. Wir treffen uns regelmäßig zu Familienkonferenzen, wir lachen und weinen zusammen, das Schicksal schweißt wie eine große Familie zusammen. Gemeinsam kämpfen wir, damit Tay-Sachs und Sandhoff eines Tages besiegt werden können. Aber leider haben wir uns seitdem auch von zwölf Kindern verabschieden müssen. Kinder, die ihre Eltern viel zu früh loslassen mussten. Kinder, die meist nur ein paar Jahre für ihr ganzes Leben hatten. Sehr berührend war für uns aber auch zu sehen, dass fast alle Eltern nach diesem schweren Verlust, unserer Gruppe die Treue hielten und auch weiter zu den Familien-Treffen kamen. Weil sie hier auf großes Verständnis stoßen, ihre Trauer verarbeiten und gemeinsam tragen können. Und nicht zuletzt, weil sie sich hier ihren Kindern sehr nahe fühlen. So wuchs aus einem Einzelschicksal eine große und starke Schicksalsgemeinschaft, eine Familie.
Doch auch im medizinischen Bereich haben wir in den vergangenen Jahren viele kleine und große Wunder erlebt. 2019 wurden Tay-Sachs und Sandhoff erstmalig in eine Medikamentenstudie aufgenommen. Es begann mit individuellen Heilversuchen an erwachsenen Patienten mit ähnlichen Krankheiten. Als wir davon erfuhren, kämpften wir gemeinsam mit unseren Ärzten darum, auch die mittlerweile vier Erwachsenen aus unserer Gruppe, die an Tay-Sachs oder Sandhoff erkrankt waren, in die Versuche aufzunehmen. Dies gelang und auch Dario wurde aufgenommen und zumindest vorübergehend zeigte das Medikament eine gute Wirkung. Es soll einige der schlimmsten Symptome der Krankheit lindern. Mittlerweile steht es kurz vor seiner Zulassung und wäre das erste für Tay-Sachs und Sandhoff zugelassene Medikament überhaupt.
2020 startete eine weitere internationale Medikamentenstudie, die unsere Krankheiten einschließt. Der Wirkstoff soll das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen. Und im November 2020 passierte dann, worauf wir seit der Diagnose von Dario so sehnlich gewartet hatten. In den USA wurde die Studie zu einer Gentherapie für Tay-Sachs und Sandhoff zugelassen. Die Gentherapie ist bislang die einzige Therapie, die rechtszeitig angewendet, den Krankheitsverlauf stoppen kann. Im Februar 2021 wurde das erste Kind in diese Studie aufgenommen und wird aktuell behandelt. Natürlich haben wir Dario und alle anderen vom Alter her in Frage kommenden Kinder unserer Gruppe den Forschern vorgestellt und hoffen inständig, dass das ein oder andere in die drei Jahre andauernde Studie eingeschlossen wird.
Manchmal können wir gar nicht glauben, was in dieser relativ kurzen Zeit alles passiert ist. Es ist wie ein großes Geschenk. Der unermüdliche Kampf beginnt sich zu lohnen. Und wenn nur ein Kind aus unserer Gemeinschaft in die US-Studie zur Gentherapie aufgenommen und erfolgreich behandelt wird, dann hat sich unsere Arbeit mehr als nur gelohnt.
Und Dario? Der ist derweil mit seinen elf Jahren ein richtig großer Junge geworden. Doch die Krankheit wächst leider mit. An Laufen ist derzeit allen Therapien zum Trotz nicht mehr zu denken. Nur geführt und gestützt sind noch ein paar Meter drin. An manchen Tagen müssen wir ihn vorzeitig von der Schule holen, weil ein epileptischer Anfall auf den nächsten folgt. Oft ist er sehr müde und abwesend. Sprechen kann er gar nicht mehr, aber seine Augen können noch leuchten, sein Strahlen und sein Lachen hat ihm die grausame Krankheit nicht nehmen können. Noch nicht?
Seltener ist es zuletzt schon geworden, was auch an der Corona-Pandemie liegt. Denn Darios größte Leidenschaft, Musik live zu hören, ins Theater, Kabarett oder in ein Musical zu gehen, können wir ihm derzeit nicht bieten. Und so waren wir schier überwältigt, als einige Hauptdarsteller des Musicals Mamma Mia, in dem wir mit Dario vor dem Lockdown dreimal waren, ihm aus ihren Wohnzimmern eine Videobotschaft mit allerlei Gesangs- und Tanzeinlagen schickten. Dario hat sich so gefreut, wir müssen ihm das Video jetzt jeden Abend vorspielen.
Die Pandemie mit Dario, der es so sehr liebt, rauszukommen, ist doppelt hart. Eigentlich sind wir krisenerprobt. Wir wurden ja schon einmal aus dem Leben gerissen. Aber jetzt zu sehen, dass uns und Dario wegen einer Virus-Pandemie die Zeit durch die Finger rinnt, das tut sehr weh.
Ob Dario in die Studie zur Gentherapie kommt, oder die Gentherapie rechtzeitig für ihn zugelassen wird, wissen wir nicht, aber wir wissen, dass auch diese Therapie so sie erfolgreich ist die Krankheit nur stoppen kann. Was bereits zerstört wurde, bleibt unwiderruflich verloren. Darum werden wir auch weiterhin jeden Tag mit Dario genießen und die vielen schönen Momente auskosten, die das Leben parat hält auch für uns, auch mit einem so schweren Schicksal. Wir haben schmerzlich lernen müssen, nicht zwanghaft an unseren Träumen, Vorstellungen und Lebensentwürfen festzuhalten. Wir haben gelernt, immer wieder neue Wege zu gehen. Und dabei auch vieles Unerwartetes und Schönes entdeckt. Das hilft einem dann auch in Zeiten einer Pandemie. Schon jetzt durchforsten wir die Veranstaltungskalender für den Sommer und Herbst 2021. Streichen uns Termine im Kalender dick an, buchen Tickets und organisieren das nächste Familientreffen in Würzburg.
Denn wir sind nicht mehr allein. Das Leben wird weitergehen und wir wollen mit Dario noch lange dabei sein.
Hier das PDF des Zeitungsartikels: 2021-02-27_Main-Post_Seite_26 (1)
Hier der Link zur Online-Version auf inFranken.de.
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Stichwort Tay-Sachs und Sandhoff
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