Im größten Raum des CCW konnten wir Corona-konform tagen

Eine Live-Schalte zum Prüfarzt der Gentherapie in den USA, zwei Forscher der Pharmaindustrie, die an neuen Medikamenten für unsere Krankheiten forschen, die ersten bislang unveröffentlichten Ergebnisse der „8-in-1“-Studie, weitere spannende Studien-Updates, ein kritisch nachfragender Professor Konrad Sandhoff und erstmalig zwei GM-1-Familien unter den Teilnehmern. Die 6. Deutsche Familienkonferenz von „Hand in Hand“ war wieder reich an Höhepunkten und vielen meist guten Nachrichten. Daneben gab es Zeit und Raum für Begegnungen der Familien, der Patienten und sehr emotionale Momente.

Die ersten Familien kamen schon am Donnerstag nach Würzburg, einige blieben wegen des Sturmtiefs aber auch hängen und mussten die Anreise dann doch auf Freitag verschieben. Das große Welcome-Dinner am Freitagabend mit allen Familien, Patienten, Forschern und Ärzten eröffnete dann offiziell unsere dreitägige Konferenz.

Welcome-Dinner am Freitag Abend

Die Vorträge starteten am Samstag wegen des Umbaus im Tagungsbereichs des Maritim-Hotel diesmal im direkt angeschlossenem Congress-Centrum (CCW), wo schon Medizin-Kongresse mit 1000 und mehr Teilnehmern abgehalten wurden. So hatten wir mit unseren immerhin 97 Teilnehmern genügend Platz, um Corona-konform sicher zu tagen.

Den Vortragsreigen eröffnete unser medizinischer Beirat Dr. Eugen Mengel, der die ersten bislang unveröffentlichten Ergebnisse unserer gemeinsamen Studie „8 in 1“ vorstellte.

Dr. Eugen Mengel

Gemeinsame Studie

Diese pharmaunabhängige Studie, die der Verein „Hand in Hand“ zusammen mit dem Forschungsinstitut SphinCS durchführt und finanziert, soll den Gangliosidosen mehr Aufmerksamkeit bescheren und durch Daten des natürlichen Verlaufs der Krankheiten helfen, leichter in Medikamentenstudien zu kommen. 29 Patientinnen und Patienten mit Tay-Sachs, Morbus Sandhoff, GM2-Aktivatordefekt und GM1 konnten bereits eingeschlossen werden. Weitere drei haben bereits einen Untersuchungstermin. Dr. Mengel berichtete von dem eigens für die Studie entwickelten 8 in 1 Score, mit dem die Daten zum Krankheitsverlauf, zur Teilhabe und zur Selbständigkeit erhoben wurden.

Hand in Hand für unsere Kinder.

Supermarkt von Medikamentenstudien?

Dann stellte er erste Ergebnisse vor. So dauere der Zeitraum von den ersten Symptomen bis zur Diagnose selbst bei infantilen Patienten viel zu lange. Dabei hat die Studie eine ganze Reihe erster Symptome, wie zum Beispiel die starke Schreckhaftigkeit analysiert. Es gebe viele neue Erkenntnisse zum Fortschreiten der Krankheit, zu den besonderen Problemen im Alltag, aber auch noch offene Fragen. Zum Beispiel welche Probleme bei den erwachsenen Patienten im Vordergrund stehen. Und er stellte am Schluss ganz wichtige Fragen, die die weitere Konferenz beherrschen sollte: Wie kommen wir durch den Supermarkt von Medikamentenstudien? Und was sind die Interessen der Patienten dabei?

Fragte oft und kritisch nach: Professor Konrad Sandhoff, der die nach ihm benannte Sandhoff-Variante der Krankheit entdeckte.

Denn zum ersten Mal seit Bestehen von „Hand in Hand“ machte diese Konferenz deutlich, wie viele sehr unterschiedliche Medikamentenstudien sich derzeit in der Pipeline der Pharmaindustrie befinden. Und so könnte der Zeitpunkt nicht mehr fern sein, an dem sich Patienten oder ihre Eltern entscheiden müssen, in welche Studie sie gehen und in welche nicht.

Forderung nach einem runden Tisch

Den ersten Schwerpunkt, nämlich die Forschungen an Substrathemmern und „small molecules“ leitete ebenfalls Dr. Mengel ein. Er stellte die beiden bereits auf dem Markt befindlichen Medikamente (für GM1 und GM2 nur im Off-Label-Use) vor, sowie die bereits in Studien befindlichen Wirkstoffe und die Ergebnisse der weiteren Forschungen. Am Ende des Tages werde die Frage lauten, haben wir genügend Patienten für alle geplanten Studien, prognostizierte Mengel. Daher forderte er einen runden Tisch mit Ärzten Patienten und Pharmaindustrie.

Dr. Richard Welford forscht an einem Biomarker für GM1 und GM2 Gangliosidosen.

Idorsia entwickelt Biomarker

Anschließend stellten Dr. Richard Welford, Dr. Ruben Giorgino und Professor Andreas Hahn die Forschungen und aktuellen Studien im einzelnen vor. Richard Welford forscht für die Pharmafirma Idorsia (Schweiz) an einem Biomarker für die GM1- und GM2-Gangliosidosen. Der soll die Entwicklung eines neuen Substrathemmers erleichtern. Die Suche nach diesem Biomarker hat die Selbsthilfegruppe „Hand in Hand“ unterstützt. Einige Patienten haben sich Blut für diese Forschung abnehmen lassen. Die Phase-1-Studie für den neue Substrathemmer „Sinbaglustat“ ist abgeschlossen, es laufen bereits Gespräche mit den Gesundheitsbehörden zur Zulassung einer Phase 3-Studie.

Dr. Ruben Giorgino stellte die Studien von Azafaros vor.

Niederländische Firma forscht an GM1 & 2

Zusammen mit der Patientenbeauftragten von Azafaros (Niederlande), Gisela Linthorst, stellte Forschungsleiter Dr. Ruben Giorgino die Forschungen an einem neuen Medikament vor. Das holländische Unternehmen hat kleine innovative Moleküle entwickelt, die gerade bei GM1 und GM2 den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen sollen. Die Phase 1-Studie ist beendet, jetzt wolle man eine natürliche Verlaufsstudie anhängen. Anfang nächsten Jahres werde das weitere Vorgehen mit den Zulassungsbehörden besprochen.

Venglustat in klinischer Studie

Prof. Andreas Hahn hatte gute Nachrichten von der Venglustat-Studie.

Schon weiter ist die Amethyst-Studie für den Substrathemmer „Venglustat“. Sie ist bereits gestartet, die Uniklinik Gießen ist die einzige Studienklinik in Deutschland. Von dort kam Professor Andreas Hahn, um über den Verlauf der Studie zu berichten. Ursprünglich sollten neben Adulten nur ganz wenige juvenile GM1- und GM2-Patienten eingeschlossen werden. Deren Zahl wurde im Laufe diesen Jahres zwar erweitert, dennoch sollten zunächst nur zwei Kinder in Gießen die Möglichkeit bekommen, an der Studie teilzunehmen. Wir setzten uns für weitere Kinder aus Deutschland ein. Jetzt konnte Professor Hahn berichten, das nun vier Kinder von ihm in die Studie eingeschlossen werden dürfen.

Hahn berichtete noch von der IB-1001-Studie, in die Gießen zehn GM-2-Patienten aus Deutschland, Holland, Schweden und Portugal eingeschlossen habe. Die offiziellen Ergebnisse stünden noch aus, doch es gebe erste Erfolgsmeldungen seitens der Pharmafirma Intrabio. Auch in Gießen habe man bei den meisten Patienten Verbesserungen, bei zweien aber auch Verschlechterungen gesehen.

Forscher, Ärzte, Pharmavertreter und Patientenvertreter im Gespräch mit unseren Familien.

Runder Tisch bei Konferenz

Anschließend probten wir schon einmal den runden Tisch aus Pharmafirmen, Ärzten und Patienten, indem wir alle Referenten zusammen mit unseren medizinischen Beiräten Professor Konrad Sandhoff und Professor Michael Beck auf ein Podium baten, um zu diskutieren und sich den Fragen der Familien zu stellen. Vor allem zu den neuen Forschungen an Substrathemmern und „small molecules“ hatte Prof. Sandhoff viele fachliche Nachfragen. Aber auch die Familien fragten nach Wegweisern, um sich in dem am Horizont abzeichnenden Supermarkt der Medikamentenstudien besser zurecht zu finden.

Dr. Christian Staufner, Neuropädiater von der Uniklinik Heidelberg.

Zusammenarbeit mit der Uni Heidelberg

Den Nachmittag eröffneten PD Dr. Christian Staufner und Dr. Ali Tuncel von der Uniklinik Heidelberg. Viele unserer Patienten haben ihre Diagnose aus dem Stoffwechsellabor in Heidelberg erhalten. Aber es gibt dort auch ein Zentrum für lysosomale Speicherkrankheiten, das in den vergangenen Jahren immer mehr Patienten auch mit einer Gangliosidose aufsuchten. Da Dr. Staufner und die Klinik in Heidelberg auch eine große Erfahrung mit Neugeborenen-Screening haben und das angeschlossene Stoffwechsellabor neben den Hexosaminidasen A + B und der beta-Galaktosidase auch lysoGM1- und lysoGM2 messen kann, freuen wir uns sehr über die Zusammenarbeit mit diesem Zentrum für lysosomale Speicherkrankheiten.

Prof. Michael Beck, hier im Gespräch mit Birgit Hardt.

Schwerpunktthema Gentherapie

Anschließend eröffnete Prof. Michael Beck das zweite Schwerpunktthema, die Gentherapie. Sehr anschaulich erläuterte er die Wirkweise der unterschiedlichen Gentherapien. Zeigte auf, wie die Viren mit dem Gen in den Körper gelangen und wie genau die Gentherapien bei Tay-Sachs und Sandhoff der Firmen SIO und Taysha und die Gentherapie von GM1 von Lysogen funktionieren. Entscheidend werde am Ende wohl sein, wie früh eine solche Therapie einsetzt, aber auch die Frage, der Haltbarkeit der Viren mit dem hinzugefügten Gen dürfte den Erfolg bestimmen. Denn die Gene werden nicht der DNA hinzugefügt, sondern mittels eines AAV-Virus zusätzlich in die Zellen geschleust – können dadurch aber auch wieder abgebaut werden.

Per Videokonferenz aus Boston (USA) zugeschaltet: Dr. Florian Eichler

Direkter Draht nach Amerika

Im Anschluss gelang eine Video-Schalte nach Boston zu Dr. Florian Eichler, der als Prüfarzt im Massachusetts General Hospital die Studie zur Gentherapie der Firma SIO durchführt. Er berichtete, dass aktuell das dritte Kind mit der Gentherapie behandelt werden würde. Er erläuterte die Behandlung, das Studiendesign und nach welchen Kriterien Kinder ein- bzw. ausgeschlossen würden. Im Moment sei die Studie noch in einer Phase, in der die richtige Dosis für die Therapie gefunden werden müsste. Er bat um Verständnis, dass nicht jedes Kind, das für die Studie vom Alter her in Frage käme, auch tatsächlich in die Studie aufgenommen werden könne.

Das Ende des Vortragteils gehörte dann noch einmal Prof. Andreas Hahn, der die Wirkweise von Cannadibiol bei den Gangliosidosen erläuterte. Es sei sicherlich kein Wundermittel, aber möglicherweise eine sinnvolle Ergänzung in der Behandlung von Epilepsien bei Kindern mit neurometabolischen Erkrankungen wie Tay-Sachs oder Morbus Sandhoff.

In bewegenden Worten erinnerte Melanie Mende noch einmal an unser plötzlich verstorbenes Mitglied Jasmin Diener.

Stilles Gedenken

Nach der Erinnerungszeremonie für unsere verstorbenen Kinder und für Jasmin Diener, einer betroffenen Mutter, die mit nur 40 Jahren jäh aus dem Leben gerissen wurde, schlossen sich noch drei Gesprächsrunden an. Hierbei ging es um spezielle Themen für adulte Patienten. Unser Pflegeberater Markus Oppel referierte über Anträge und Widersprüche rund um die Pflege und gab wertvolle Tipps. Melanie Mende, die sich zur Trauerbegleiterin zertifizieren ließ, leitete eine Gesprächsrunde zum Thema „Mit der Trauer leben“.

Kinderprogramm mit Korbtheater

Parallel zur Tagung vergnügten sich unsere Kinder mit den Kinderbetreuerinnen von „Spaß und Spiel“ und unseren Pädagoginnen. Es wurde gemalt, geschminkt und gespielt. Höhepunkt war hier das Korbtheater von Ali Büttner. Beim „Schnabel voller Glück“ wurde viel und laut gelacht.

Viel Spaß hatten unsere Kinder beim Kinderprogramm.

Erstmalig begleitete mit Christoph Kirchner ein professioneller Filmemacher die Konferenz. Es sollen zwei Filme entstehen. Der eine eher medizinische soll in Gesprächen mit Eltern und Ärzten und mit Hilfe von den Eltern gedrehter Videoschnipsel das Thema der ersten Symptome behandeln. Der zweite unsere Arbeit als Selbsthilfegruppe vorstellen und potentielle Spender motivieren, unsere Arbeit zu unterstützen. Patty Varasano hielt die schönsten Momente der Tagung mit ihrer Kamera fest.

Neben den Vorträgen genossen die Familien und Patienten die Zeit in den Pausen und beim Essen, sich auszutauschen und das Miteinander dieses außergewöhnlichen Treffens zu genießen.

Petra Ihnken und Folker Quack

Petra Ihnken hatte wieder fleißig genäht und jedem Betroffenen ein grünes Herzkissen mitgebracht. Außerdem stellte sie eine mit Granulat gefüllte Kuscheldecke vor, die sie auf Anfrage gegen eine Spende an den Verein gerne produziert. Die vielen Kissen, Lätzchen, Buddys und Taschen, die sie zur Konferenz mitbrachte, fanden gegen eine Spende an den Verein schnell einen neuen Besitzer. Am Sonntag endete die Konferenz mit der Mitgliederversammlung des Vereins „Hand in Hand“.

Erstmalig nahmen zwei Familien mit einem GM1-Kind an unserer Konferenz teil. Sie waren von der Atmosphäre und den vielen spanenden Vorträgen sehr beeindruckt. GM1-Familien und wir wollen jetzt unsere weitere Zusammenarbeit auslosten und besprechen.

Zusammen sind wir noch stärker.

Vielen Dank unseren fleißigen Helferinnen und Helfern, ohne die Birgit und Folker diese Konferenz nicht stemmen könnten. Das sind neben Melanie Mende unsere Gründungsmitglieder Ralf Thees, Andreas Kemper, Emma Bartelsheim und Christian Full. Dank aber auch an das Team der Kinderbetreuerinnen, das Team der SphinCS und allen Mitarbeitern des Maritim-Hotel, die uns wieder toll bewirtet haben. Wieder einmal funktionierte alles getreu unserem Vereinsmotte „Hand in Hand“.

Spaß und Action beim Kinderprogramm.

Nicht möglich wäre eine solche große Konferenz ohne unsere Sponsoren. Das waren in diesem Jahr im Rahmen der Pauschalförderung für Selbsthilfegruppen die Gemeinschaft der Krankenkassen (GKV), die Aktion Mensch, die Aktion Sternstunden des Bayerischen Rundfunk, die Stiftung der Sparkasse Mainfranken und die Stiftung „Kindness for Kids“. Nur mit ihrer Unterstützung konnten wir ein buntes Programm bei einem geringen Eigenanteil der Familien möglich machen.

 

 

Alle Fotos: Patty Varasano