Dr. Laila Arash-Kaps, die zum medizinischen Beirat unserer Selbsthilfegruppe gehört, hat die Vorträge unserer Familienkonferenz vom 22. bis 24. Oktober 2021 aus medizinischer Sicht zusammengefasst und mit weitergehenden Informationen verlinkt. Für alle, die dieses Mal nicht teilnehmen konnten oder die wichtigsten Punkte der einzelnen Vorträge gerne noch einmal nachlesen wollen. Wir danken Dr. Laila Arash-Kaps für diese sehr wichtige Arbeit. 

Hier findet Ihr auch ein PDF unseres Programmheftes mit vielen Informationen und einer Vorstellung aller unserer diesjährigen Referentinnen und Referenten: Programmheft 2021


Die Vorträge:

Dr. med. Eugen Mengel (Leiter der SphinCS-Hochheim)

  1. Dr. Mengel stellte die „8 in 1 Studie“ vor, eine Registerstudie, die in Kooperation mit „Hand in Hand gegen Tay-Sachs und Sandhoff e.V.“ entwickelt wurde.
  • Studie zum natürlichen Verlauf von Gangliosidosen (und verwandte Erkrankungen, insgesamt 8 Erkrankungen)
  • Keine Altersbegrenzung
  • Jährliche körperliche Untersuchung und Anamnese, Erfassung der Entwicklung und der Meilensteine, Erfassung des Verlaufs der Symptome bei Patienten mit den unterschiedlichen Verlaufsformen, Entwicklung eines Schweregrad Scores, die die Erfassung des klinischen Zustands der Patienten abbilden soll und ggf. für das Monitoring des klinischen Zustandes bei zukünftigen Therapie-Studien verwendet werden könnte.

Siehe link:           Registry Gangliosidoses – Full Text View – ClinicalTrials.gov

Dr. Eugen Mengel: Vorstellung der Therapiekonzepte

In seinem zweiten Vortrag stellte Dr. Eugen Mengel aktuelle Therapiekonzepte, Substratinhibition, Chaperontherapie und Substratreduktionstherapie vor.

Siehe link: Studien | SphinCS.de

Dr. Eugen Mengel

Miglustat: (Mutter der Substratinhibitoren) zugelassen für M.Gaucher und NPC, hat derzeit keine Zulassung für Gangliosidosen und wird nur i.R. individueller Heilversuche einigen Patienten verabreicht.

Eliglustat: zugelassen für Morbus Gaucher, für Gangliosidosen nicht sinnvoll, da es die Blut-Hirn-Schranke nicht überwindet.

Venglustat: Verträglichkeit muss noch geprüft werden, Mäuse mit Morbus Sandhoff haben unter der Behandlung 30 % länger gelebt. (Marshall et al.2019)

Lucerastat: vor 15 Jahren bei GM1 untersucht, geht schlechter durch die Blut-Hirn-Schranke. Wird derzeit in einer Studie bei Patienten mit Morbus Fabry geprüft.

Sinbaglustat: von der Firma Idorsia hat eine „Doppelwirkung“: Substratinhibition und Aufräumarbeit.

„Azasugar“ ( AZ-3102) von der Firma Azafaros hat auch diese „Doppelwirkung“.

TFEB-Regulation: ein neues Medikament ist diesbezüglich in der Forschung auch für Gangliosidosen.

Fazit:

  • aktuell haben wir kein zugelassenes Medikament für unsere Gangliosidosen.
  • Die geringe Anzahl der Patienten, die ein Einschlusskriterien der Studien erfüllen limitieren die Möglichkeiten der Studien
  • Es sollte diskutiert werden, ob man nicht mehrere Medikamente in einer Studie prüfen kann
  • Ein runder Tisch mit Vertretern von Patienten, Pharmafirmen und Ärzte könnte diese Punkte von den unterschiedlichen Perspektiven beleuchten

Dr. Richard Welford (Ass. Direktor der Firma Idorsia)

Was ist ein Biomarker

  • Charakteristische biologische Merkmale
  • Verschiedene Arten von Biomarkern
  • Biomarker helfen bei der Diagnose einer Krankheit und bei Prüfung der Wirksamkeit von Medikamenten
  • Gute Biomarker können die Entwicklung neuer Medikamentenstudie erleichtern
  • Biomarker können helfen Fragen, wie die richtige Dosierung, Einnahmehäufigkeit, zu beantworten
  • Verschiedene Biomarker beleuchten verschiedene Aspekte einer Krankheit
  • Beispielsweise: Lyso GM1 und LysoGM2 sind sog. „früher Lipide“ (sie stehen am Beginn der Abbaukaskade)

Dr. Richard Welford

NFL (neurofilament light) ist ein sog. „später Biomarker“, es gibt Information über die Entzündung (Inflammation), die sich im Verlauf der Krankheit entwickelt.

  • Ein Anstieg von Lyso GM2 ist altersabhägig
  • NFL ist kein spezifischer Biomarker für Gangliosidosen, sondern ein Biomarker für Nervenschädigung im Gehirn
  • Sinbaglustat konnte bei Sandhoff-Mäusen lyso GM2 und NFL senken
  • Die Phase 1 (Prüfung der Sicherheit) der Sinbaglustat-Studie sei jetzt abgeschlossen.

 

 

Dr. Ruben Giorgino und Gisela Linthorst (Firma Azafaros)

  • Azafaros ist eine holländische Firma, die 2018 gegründet wurde mit Portfolien der Universität Leiden (NL)
  • Beschäftigt sich mit kleinen Molekülen für seltene Stoffwechselstörungen
  • Beschäftigt sich insbesondere mit Erkrankungen mit starken Einschränkungen
  • Beschäftigt sich mit Erkrankungen, für die es bisher keine Therapien gibt
  • In der Entwicklung befindet sich AZ-3102 zur Behandlung neurologischer Manifestationen bei Patienten mit GM1 und GM2-Gangliosidosen
  • Es handelt sich um ein „kleinen Molekül“, das bei Studien mit Tieren die Blut-Hirn-Schranke überwinden konnte.
  • Die Substanz habe eine duale Wirkung („Doppelwirkung“) da es einerseits als Substratinhibitor wirke und andererseits die Beseitigung der „toxischen Abfälle“ (die durch die Erkrankung vermehrt anfallen) aus den Hirnzellen
  • Die Substanz AZ-3102 habe eine hohe Selektivität, d.h. es wirke sehr gezielt in den Hirnzellen auf den Gangliosidose-Stoffwechsel
  • Die Einnahme für Patienten wäre 1x/Tag
  • Die klinische Phase 1-Studien bei gesunden Menschen sei abgeschlossen.

Pronto-Studie: eine Natural History Studie

Dr. Ruben Giorgino

 

Prof. Dr. Andreas Hahn (Leitender Oberarzt der Neuropädiatrie, der Kinderklinik Gießen)

Venglustat-Studien

Phase 2-Studie bei Patienten mit M.Gaucher: Senkung der Abbausubstanzen GL1 und Lyso GL1 im Hirnwasser, sowie eine verbesserte Konnektivität von Hirnregionen (abgebildet anhand der Untersuchung der Kognition)

Prof. Andreas Hahn

Amethyst-Studie

Doppelblind-plazebokontrolllierte Studie bei erwachsenen Patienten mit Morbus Tay-Sachs und Morbus Sandhoff

Nebenarm: juvenile/adoleszente im Alter von 2-18 Jahren und einem Gewicht > 10 kg. Diese Gruppe ist nicht plazebokontrolliert.

Sowie late-onset GM2, ultraseltene Patienten mit defekten Glucoceramid/Sphingolipidstörungen.

  • Geplant sind 55-60 Patienten
  • Randomisierung: 2:1 (d.h. 2/3 der Teilnehmenden Patienten bekommen das Studienmedikament und 1/3 bekommen Plazebo)
  • Dauer der Studie: 104 Wochen
  • Dosierung: 1×15 mg Tablette/Tag p.o.
  • Untersuchungen: u.a. Lumbalpunktion (am Anfang und nach 52 Wochen), 9-Hole PEG Test, SARA-Score (Testungen der neurologischen Funktionen)
  • Ausschlusskriterium: u.a. 3 Monate vor Studienbeginn darf der Patient kein Substrathemmer bekommen haben.

Siehe link: A Multinational, Randomized, Double-blind, Placebo-controlled Study to Assess the Efficacy, Pharmacodynamics, Pharmacokinetics, and Safety of Venglustat in Late-onset GM2 – Full Text View – ClinicalTrials.gov

 

Prof. Michael Beck

Prof. Dr. Michael Beck (SphinCS-Hochheim)

  • Aufbau von Genen und Chromosomen
  • Prinzip der Gentherapie: ein zusätzliches Gen wird in die Körperzelle (mit dem defekten Gen) reingebracht.
  • Vektoren für den Gentransfer: Viren, früher inaktivierte Adenoviren. Jetzt sind es AAV (adenoassoziierte Viren). Sie „können“ weniger als Adenoviren, aber ausreichend für den Gentransfer.
  • Viren haben unterschiedliche Gewebeaffinitäten, d.h. sie verbreiten sich unterschiedlich in unterschiedlichen Körperzellen (z.B. Leber, Muskel, Hirn)
  • Antiköperentwicklung hängt einmal vom Wirt (Patient) ab und einmal vom Vektor (Virus)
  • AAV9 ist besonders gut als Vektor für die Überwindung der Blut-Hirn-Schranke
  • Gegen AAV 9 besteht bei 33% der Bevölkerung Antikörper
  • Möglichkeit der Antikörper-Elimination mit sog. Endopeptidasen (Enzyme, die die Antikörper zersetzen/abspalten)

Verschiedene Firmen mit verschiedenen Ansätzen der Gentherapie

Sio: AXOGM2-001

Offene Studie: bds. Infusion von AAVrh8-HEXA und AAVrh8-HEXB

Injektion intraparenchymal (ins Hirngewebe), intrathekal (ins Hirnwasser), intrazisternal (in die Zisterna magna einer der 4 größeren Innenräume im Gehirn, wo Hirnwasser durchfließt und in die man mit einer langen Nadel durch die hinteren Halsbereich herankommt, ohne dass man durch den Schädelknochen stechen muss)

Taysha: TSH-101

  • HEXA+HEXB in AAV 9 (geht besser durch die Blut-Hirn-Schranke)
  • Das Doppelgen funktioniert im Zellversuch und in der Behandlung von Sandhoff-Mäusen
  • Mäuse können sich länger bewegen
  • Die Dosis ist abhängig vom Hirnvolumen
  • Bis zu 6 Patienten sollen behandelt werden
  • Endpunkte??

 

Lysogene: Lys-GM101

  • Alter: bis zu 3 Jahren
  • AAV10, intrazisternal
  • Bessere Überlebensrate, bessere neurologische Funktion der Mäuse

Passage-Bio: PBGM1

–              Phase 1/2, offene klinische Studie infantile GM1-Gangliosidose

–              AAVhu68 viral vector, intrazisternal

 

Company: https://www.passagebio.com/home/default.aspx

SIO: AXA-AAV-GM1

  • Alter: 2-12 Jahre, intravenöse Gabe
  • Patienten müssen immunsupprimiert werden (mit Rituximab, Sirolimus, Cortison)

Prof. Dr. Andreas Hahn

IB 1000-201 (N-Acetyl-Leucin)

  • Im Tiermodell stabilisierende Wirkung an Nervenzellmembranen
  • Seit 1957 für Migräne-Behandlung zugelassen
  • Liegt als sog. Razemat vor, d.h. ein Substanzgemisch, das aus zwei verschiedenen chemischen Stoffen besteht, deren Moleküle wie Bild und Spiegelbild (= Enantiomere) aufgebaut sind.
  • Die L-Form ist biologisch aktiv, d.h. hat eine Wirkung auf die Zellen
  • Die D-Form kann die Wirksamkeit der L-Form hemmen
  • Derzeit laufen 3 Studien mit dieser Substanz: bei GM2-Gangliosidose, bei NPC (Niemann Pick Typ C) und bei Ataxia teleangiektasia

IntraBio-Studie

  • 30/36 Patienten
  • Ein Problem: Patienten, die eine Tanganil-Vorbehandlung hatten
  • Der Studiendesign sieht 6-wöchigen Wechsel zwischen Behandlung und Auswaschphase, d.h. 6 Wochen Gabe vom Studienmedikament, dann 6 Wochen kein Medikament
  • Aktuell werden 10 Patienten in Gießen behandelt (6 Portugiesische und 2 deutsche Patienten)
  • Dr. Tatjana Bremova und Kollegen haben eine Publikation zur den Studienergebnissen eingereicht.
  • Die Phase III-Studie wird eine plazebo-kontrollierte Studie für Patienten mit GM2-Gangliosidose sein.

Anmerkung von Prof.Konrad Sandhoff: Acetyl-Leucin sei ein anionisches Amphiphil (chemische Bezeichnung). Wenn eine positive Wirkung dieser Substanz für eines der lysosomalen Speichererkrankungen gezeigt werde, könne sie vmtl. auch bei anderen lysosomalen Erkrankungen einen positiven Effekt haben.

 

Prof.Dr. Florian Eichler (Prüfarzt im Massachusetts General Hospital)

Live-Schaltung zu Dr. Florian Eichler nach Boston (USA).

AXO-AAV-GM2 zur Behandlung von GM2-Gangliosidosen

  • HEXA- und HEXB-Gen im Katzenmodell von Sandhoff Erkrankung
  • Gabe: 2 x intrazerebral (Spritze in den Thalamus, die Schalzentrale des Gehirns)+ 1x intrazisternal für die Beseitigung der toxischen Substanzen
  • Stufe 1: Dosisfindung
  • Stufe 2: Wirksamkeit und Sicherheit
  • Alter: 6-20 Monate sowie 2-12 Jahre
  • Patienten mit M.Tay-Sachs und M.Sandhoff
  • Dr. Florian Eichler

    Aktuell 2 infantile und 1 juveniler Patient in Behandlung

  • Planen 9 weitere Patienten zu behandeln
  • FDA fordert die gestaffelte Aufnahme der Patienten in die Studie, um die Sicherheit besser zu kontrollieren
  • Koordinatorin: Haley Andonian: handonian@partners.org

 

Siehe link: https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT04669535?cond=tay-sachs&draw=2&rank=1

 

Prof. Dr. Andreas Hahn

  • Cannabidiol (CBD) ist nicht halluzinogen
  • Tetrahydrocannabidio (THC=Dronabinol) ist halluzinogen, BTM-Rezept (Sonderrezept für Betäubungsmittel) erforderlich
  • Cannabisöl, Haschischöl sind halluzinogen
  • CBD-Öl enthält nur Cannabidiol: erzeugt keine Abhängigkeit
  • Dosierung ist sehr individuell von 10-1000 mg
  • Cave: unterschiedliche Konzentrationen der Präparate beachten!
  • Die Substanzen haben organ- und systemübergreifende Wirkung über CB1 und CB2-Rezeptoren
  • Fazit: Sinnvolle Ergänzung in der Behandlung von GM2-Gangliosidosen

 

PD Dr. Christian Staufner (Neuropädiatrie und Stoffwechselmedizin, Uniklinik Heidelberg)

PD Dr. Christian Staufner

Vorstellung des Stoffwechsellabor der Unikinderklinik Heidelberg

30000 Fälle7Jahr, 145000 Neugeborenen Screenings/Jahr

Derzeit noch kein Neugeborenen-Screening für GM-Gangliosidosen

Einige Anforderungen, damit einer Erkrankung im Neugeborenen Screening aufgenommen wird:

  • Ein wichtiges Gesundheitsproblem
  • Allgemein anerkannte Behandlung
  • Bereit stehende Resourcen (finanziell und manpower) für die Diagnose und die Behandlung
  • Frühsymptomatisches Stadium
  • Gute Test- und Untersuchungsmöglichkeit
  • Der natürliche Verlauf der Erkrankung wird verstanden

Dr. Ali Tunc Tuncel

 

Vorstellung von Paedklips (Pädiatrisch-klinisch-pharmakologisches Zentrum)

Kontakt: Dr. med. Ali Tunc Tuncel, Iris Schelletter (Case Managerin), Terminkoordination und Ansprechpartnerin für Anfragen aller Art, Tel: 06221 56-32122
Mail: iris.schelletter@med.uni-heidelberg.de