Was gibt es neues von der Forschung an Morbus Tay-Sachs, Sandhoff und GM1? Wie in jedem Jahr bekamen wir bei unser Familienkonferenz Updates zur Forschung, von Forschern und Studienärzten und es gab auch wieder einen Runden Tisch zu aktuellen Themen mit unseren Ärzten, Forschern, der Pharmaindustrie und unserem Sozialanwalt.

Dr. Eugen Mengel

Dr. Eugen Mengel stellte unsere gemeinsam entwickelte Register-Studie „8 in 1 – Achtung Gangliosidosen“ zur Erfassung der klinischen Manifestationen von acht Gangliosidosen* vor.  Im mittlerweile 3. Jahr sind aktuell 61 Patientinnen und Patienten im Register.

Die vom Forschungsinstitut SphinCS und unserer Selbsthilfegruppe „Hand in Hand“ aufgesetzte Studie hat die Ziele, die Gangliosidosen besser zu verstehen („knowlegde“), die Gangliosidosen in der Öffentlichkeit bekannter zu machen („awareness“) und die aktive Einbeziehung der Patienten in den Prozess und die Planung der gesamten Studie („participation“). Zudem soll sie den Patienten den Zugang zu Arzneimitteprüfungen durch Daten über den natürlichen Verlauf ermöglichen.

Die Daten sensibilisieren behandelnde Ärzte, Therapeuten und Betreuer und ermöglichen eine frühere Diagnose und fachliche Beratung der Eltern. Daneben dienen die Daten dazu, bessere quantitativ zu erfassende Endpunkte für zukünftige klinische Studien zu bestimmen. Die bisherigen Daten zeigen eine genauere Charakterisierung der Phänotypen insbesondere wird der bisher kaum beschriebene spät-infantile Phänotyp, der bei acht Patienten vorliegt, charakterisiert.

Darüber hinaus berichtete Dr. Mengel, wie mit Hilfe von „Künstlicher Intelligenz“ alte Labordaten von Wirkstoffen untersucht, Zufallsbefunde überprüft und neu getestet werden können, zum Beispiel im Tiermodell. Dann könnten die Wirkstoffe optimiert werden.

Dr. Mathias Schmidt war dieses Jahr per Video bei unserer Konferenz.

Ein Beispiel sei der Wirkstoff Aloxistatin. Die Substanz sei seit 40 Jahren bekannt, es gebe Studien bei  Morbus Duchenne und anderen Muskelerkrankungen, aber noch keine Zulassung. Mittels Künstlicher Intelligenz habe man festgestellt, dass sich die ß-Galaktosidase unter Aloxistatin erhöhe, dieses Enzym fehle bei der GM1-Gangliosidose. Aber auch andere lysosomale Enzyme würden erhöht. Dr. Mengel macht hierfür einen möglichen Chaperon-Effekt verantwortlich. Die sogenannten Chaperone hängen sich an fehlerhaft gefaltete Enzyme, stabilisieren die Struktur des Enzyms. Damit wird der Abbau des Substrates im Lysosom wieder möglich. An Hautzellen betroffener Patienten werde der Wirkstoff jetzt getestet und könne im Erfolgsfall gegebenenfalls optimiert werden.

Eine andere Forschung betrifft  die Enzymersatztherapie, das bedeutet, dass das aufgrund der Erkrankung fehlende Enzym von außen verabreicht wird. Die scheitert bei den Gangliosidosen daran, dass die Ersatz-Enzyme nicht über die Blut-Hirnschranke kommen, im Gehirn aber am nötigsten gebraucht werden. Die japanische Pharmafirma JCR Phamaceuticals hat nun eine Technologie zum Transport von Protein-Therapeutika über die Blut-Hirn-Schranke entwickelt. Bereits 2022 stellte PD Dr. Mathias Schmidt die Methode bei unserer Familienkonferenz vor. Dieses Jahr schickte er eine Videobotschaft, dass die Forschungen fortgeführt und intensiviert würden. Dr. Mengel stellte in Absprache mit JCR den Stand dieser Forschungen vor. Für MPS Typ II sei das Medikament bereits in der Phase-3-Studie und in Japan sogar schon zugelassen. Für GM2 habe der Entwicklungsprozess begonnen. Nächster Meilenstein sei eine Phase -1-Studie. Mit ersten klinischen Studien sei im 2. Quartal 2025 zu rechnen.

Prof. Andrea Hahn

Prof. Andreas Hahn von der Uniklinik Gießen stellte die derzeit laufenden Studien an Wirkstoffen vor. Da ist zunächst der Substrathemmer Nizubaglustat (AZ 3102) der niederländischen Firma Azafaros. Die Firma startete eine Längsschnittstudie zum Verlauf neurologischer Erkrankungen bei Kindern mit spätinfantiler und jugendlicher GM1- oder GM2-Gangliosidose. 31 Patientinnen und Patienten nahmen daran teil. Die Phase-1-Studie zur Sicherheit und Verträglichkeit ist abgeschlossen, derzeit läuft eine Phase-2-Studie in Südamerika mit jeweils sechs Patienten mit GM-2 und Niemann-Pick. Hierbei geht es um die richtige Dosis und Verträglichkeit des Medikaments. Die entscheidende Phase-3-Studie ist von 2024 bis 2027 geplant. 

Prof. Andreas Hahn beim Runden Tisch mit der Pharmaindustrie

In der Phase 3 befindet sich bereits die Amethist-Studie der Firma Sanofi-Genzyme mit dem Wirkstoff Venglustat. Eingeschlossen sind 57 erwachsene GM2-Patientinnen und Patienten und 20 jugendliche GM2 und GM1-Patienten unter 18 Jahren.  In der zweiten Gruppe stammen vier Patienten und Patientinnen aus Deutschland.

Auch am Wirkstoff Acetyl-Leucin wird weiter geforscht. Es hatte im Tiermodell stabilisierende Wirkung an Nervenzellmembranen gezeigt. Seit 1957 wird es als als Medikament gegen Migräne eingesetzt. Bei einer ersten Studie waren auch GM2 Patienten inkludiert.  Sie hatten stets sechswöchige Auswaschphase, in dieser Studie hatte der Wirkstoff gute Ergebnisse erzielt. Leider bestanden die Gesundheitsbehörden auf eine weitere Placebostudie. Diese Studie läuft derzeit nur für Niemann-Pick C.  Nach deren Abschluss wird man sehen, ob und wie es mit GM2 weiter geht.

Dr. Eugen Mengel, Dr. Christian Freitag (Azafaros) und Charlotte Mehle (Sanofi-Genzyme) beim Runden Tisch,

Auch in diesem Jahr organisierten wir wieder einen Runden Tisch. Neben Dr. Eugen Mengel und Prof. Andreas Hahn, nahm die Patientenbeauftragte Charlotte Mehle von Sanofi-Genzyme, Dr. Christian Freitag, Leiter der globalen klinischen Forschung und Entwicklung bei Azafaros und unser Sozialanwalt Philip Koch teil. Dieses Jahr loteten wir vor allem aus, wie die Pharmaindustrie und Ärzte zum Thema Compassionate Use und individuellen Heilversuch stehen. Insgesamt war eine große Bereitschaft zu erkennen, bei Seltenen Krankheiten Wirkstoffe im Rahmen dieser Modelle zur Verfügung zu stellen. Natürlich müsse die Sicherheit der Patienten gewährleistet sein. So komme die Abgabe von Wirkstoffen im Compassionate Use nur in Frage, wenn die Phase-3-Studie erfolgreich abgeschlossen sei und das Zulassungsverfahren bereits laufe.