Neben dem Austausch der 30 betroffenen Familien und praktischen Tipps, mit den Krankheiten Tay-Sachs, Morbus Sandhoff und GM1 zu leben, waren die aktuellen Updates zur Forschung und neue Studien ein wichtiges Thema unserer diesjährigen Familienkonferenz. Für alle, die dieses Mal nicht dabei sein konnten, fassen wir hier die wichtigsten Erkenntnisse aus den medizinischen Fachvorträgen der 7. deutschsprachigen Familienkonferenz zusammen.
Nach dem Film über die Arbeit und Bedeutung unserer Selbsthilfegruppe eröffnete unser medizinischer Beirat, Dr. Eugen Mengel (Gründer und CEO der SphinCS) den Vortragsreigen. Mit Hilfe eines von der SphinCS in Auftrag gegebenen Comic über lysosomale Speicherkrankheiten erläuterte Dr. Mengel gerade auch für die sieben in diesem Jahr neu hinzugekommenen Familien Ursachen und Probleme unserer Krankheitsbilder.
Dann ging es an die Behandlungsoptionen und zum Stand der Forschung. Aktuell gebe es zwei zugelassene Medikamente, die allerdings für ähnliche Krankheiten zugelassen wurden, aber im Off-Label-Use von vielen Patientinnen und Patienten genommen werden: Miglustat (Subtsratreduktion der 1. Generation) und Tanganil/N-Acetyl-DL-Leucin . Für zwei Medikamente laufen derzeit Klinische Studien (Venglustat und N-Acetyl-L-Leucin), wobei bei Tay-Sachs und Sandhoff die Studie mit mit N-Acetyl-L-Leucin temporär ausgesetzt ist.
Grundlagenforschung wird mit dem Wirkstoff Ruboxistaurin betrieben, außerdem wird an Substrathemmern der 2. und 3. Generation geforscht und an einer TFEB-Aktivierung. TFEB ist ein Körpereigenes Protein, das unter anderem den Substratabbau steuert. In Mausmodellen führte eine Überexpression von TFEB bereits zur Linderung bei lysosomalen Speicherkrankheiten.
Zudem wurde an einem Substrathemmer namens Lucerastat für die GM1-Gangliosidose geforscht, die Firma Idorsia entwickelt mit Sinbaglustat einen Substrathemmer, der zusätzlich Aufräumarbeiten in den Zellen erledigt und der gut ins Zentrale Nervensystem kommt. Hinzu käme noch der Aza-Zucker der Firma Azafaros, die vier Vertreterinnen zu unserer Konferenz geschickt hatten.
Von der Firma Dorphan kommt für GM1 noch eine zukünftig potenzielle Therapie mit DO-10, einem Chaperon, hinzu.
In der Pipeline sind somit einige Substanzen, wir können hoffen, dass hier auch bald klinische Studien folgen.
Größte Hoffnung sei die Gentherapie. Hier hat unsere Selbsthilfegruppe mit der kleinen Olivia das erste Kind aus Deutschland in die Studie gebracht. Allerdings ist derzeit aus finanzieller Sicht noch nicht gesichert, ob die Studie zu Ende gebracht werden kann. Probleme der Gentherapie seien laut Dr. Mengel die Verteilung im Hirngewebe, die Immunantwort des Körpers auf die Vektoren, der Zeitpunkt der Therapie (die beste Wirkung bringt die Gentherapie bei einem sehr frühzeitigen Einsatz, allerdings werde in der Regel die Diagnose zu spät gestellt) und die Finanzierung der Studien, beziehungsweise die dafür nötigen Investoren.
Anschließend freuten wir uns sehr, PD Dr. Mathias Schmidt aus San Diego (Kalifornien/USA) begrüßen zu können. Schmidt ist bei JCR Pharmaceuticals für die klinische Entwicklung, Business Development und globale Strategien verantwortlich. JCR arbeitet an einer Enzymersatztherapie für unsere Krankheitsbilder. Diese Therapieform scheiterte bei den Gangliosidosen bislang daran, dass die Ersatz-Enzyme nicht über die Blut-Hirn-Schranke kommen, und deshalb bei lysosomalen Speicherkrankheiten, bei denen vor allem das zentrale Nervensystem betroffen ist, nicht zum Einsatz kommen können. So auch bei GM1 und GM2.
Die Firma hat eine Technologie entwickelt, wie mit in einer Art trojanischem Pferd Protein Therapeutika durch die Blut-Hirn-Schranke zu schleußen. Ein erstes Medikament zur Behandlung von MPS Typ II (Hunter Syndrom) mit dieser Methode ist in Japan, wo JCR seinen Hauptsitz hat, bereits zugelassen. Die Phase 3-Studie zur Zulassung in Europa und den USA läuft. Weitere Enzymersatztherapien für MPS sind in der präklinischen oder sogar schon in der Phase 1/2.
Es gibt auch Forschungen an einer Enzymersatztherapie für die GM2-Gangliosidose und Niemann Pick, die in Mausmodellen gute Wirkung gezeigt hätten. Momentan laufe der Herstellungsprozess. Für Ende 2023 und 2024 seien nicht-klinische Sicherheitsstudien geplant. Aktuell gehe man davon aus, 2025 mit den klinischen Studien starten zu können. In der sich anschließenden Diskussion baten wir Dr. Schmidt, seinen Einfluss geltend zu machen, den Entwicklungsprozess zu beschleunigen.
Prof. Dr. Andreas Hahn von der Uni-Klinik Gießen ist Prüfarzt für drei laufende Studien in Deutschland.
Zum einen die Studie der Firma IntraBio mit L-Acetyl -Leucin (IB1001). Als Tanganil mit einem Gemisch aus D-Form und L-Form (Razemat) werde es seit 1957 als Medikament für Migräne eingesetzt. Acetyl-Leucin habe im Tiermodell stabilisierende Wirkung an den Nervenzell-Membranen gezeigt. Bei Tanganil hat sich bei längerer Einnahme eine Abnahme der Wirkung gezeigt, da die Menge an L-Form ab und die an D-Form zunimmt. In der Studie IB1001 wird nur die wirksame Form, die L-Form, verabreicht.
IB1001 zeigte in der Studie, an der auch adulte Patientinnen und Patienten unserer Selbsthilfegruppe teilgenommen haben, eine konsistente und klinisch bedeutsame Verbesserung über primäre und sekundäre Endpunkte hinweg. IB1001 habe Symptome, Funktion und Lebensqualität von GM2-Patienten verbessert.
Die Studie wurde mit Auswaschphasen durchgeführt, allerdings besteht die FDA (amerikanische Gesundheitsbehörde) zusätzlich darauf, die Studie Placebo-kontrolliert durchzuführen. Dies geschieht aber zunächst nur für die sehr ähnliche Niemann-Pick-Krankheit.
An der Amethyst-Studie der Pharmafirma Sanofi mit dem Substrathemmer Venglustat ist es Prof. Hahn – auch mit Unterstützung unserer Patientenorganisation – gelungen, in den juvenilen Arm, der ohne Placebo-Kontrollgruppe durchgeführt werde, vier Kinder aus Deutschland zu inkludieren. Weltweit sind nur 15 Kinder mit dieser Verlaufsform einer GM1- oder GM2-Erkrankung oder ähnlicher Erkrankungen (Saposin C Deficienz, Sialidose Typ 1, juvenile/ adulte Galactosialidose) zwischen zwei und 18 Jahren in die Studie aufgenommen worden, Weltweit waren ursprünglich nur sieben Teilnehmer in dieser Gruppe vorgesehen, inzwischen sind es 16. In der adulten Placebo-kontrollierten Gruppe befinden sich 52 von 59 möglichen Patienten. Mit 104 Wochen sei die Studiendauer ungewöhnlich lang.
Venglustat ist ein Subtrathemmer, der in einer Phase 2-Studie bei Gaucher, Typ 3 (LEAP-Studie) mit zehn Patienten zu einer klinischen Verbesserung und einer Reduktion von lysoGL-1 im Nervenwasser geführt habe. Auch eine Verbesserung der Konnektivität von Hirnregionen, die wichtig für die Kognition sei, wurde attestiert. Zudem eine wenn auch nur geringe Verbesserung in Ataxie-Tests.
Die Pronto-Studie der Pharmafirma Azafaros ist eine natürliche Verlaufsstudie der Krankheit bei GM1- und GM2-Patienten. Mir dieser Studie wolle Azafaros mehr Informationen über die Krankheit und ihren Verlauf erhalten, um das Studiendesign, die Endpunkte und die Patientenauswahl für die klinische Studie ihres „Aza-Zucker“ AZ-3102 zu entwickeln. Mittels neuer technologischer Meßmethoden sei ein geringer Aufwand für die Teilnahme ermöglicht worden.
Der Aza-Zucker ist ein kleines Molekül, das sowohl die Substrat-Speicherung reduzieren, als auch die Funktion des betroffenen Lysosoms stärken solle. Und das sowohl bei GM2 als auch bei GM1.
Unsere medizinische Beirätin Dr. Laila Arash-Kaps und Dr. Grecia Mendoza Rios (beide SphinCS) stellten unsere gemeinsam mit dem Forschungszentrum SphinCS entwickelte und durchgeführte Registerstudie „8 in 1“ vor. In dieser Studie wird der natürliche Krankheitsverlauf jedes Studienteilnehmers über 5 Jahre prospektiv betrachtet. Dabei werde die Progression der Erkrankung bezogen auf die Verlaufsform beschrieben. Auch Biomarker im Blut würden im Zusammenhang mit dem Fortschreiten der Krankheit untersucht.
Ziele der Studie sind die Wahrnehmung der Familien versus der ärztlichen Befunde und eine individuelle Beratung der Familien. Die Familien werden als Partner im Gesundheitswesen aufgefasst, sie werden in die Entwicklung der Studie eingeschlossen. „Patienten bekommen eine Stimme“. Im Laufe der Studie entstehe eine fundiert aufgearbeitete Kohorte. Ziel sei eine bessere Wahrnehmung der Patientenkohorte durch die Entwickler von Medikamenten und eine leichtere Planung von Medikamentenstudien.
Die Studie umfasst ein Register, die Erfassung klinischer Verlaufsparameter, einen klinischen Schweregrad Score (8 in 1-Score), einen Entwicklungstest (Vineland), einen Ataxie-Test (SARA), die Untersuchung der Feinmotorik (9-Hole PEG-Test) und einen Fragebogen zur Lebensqualität (WHODAS).
Die Auswertungen kommen zum Ergebnis, dass die Eltern das Erstsymptom, akustische Startles, deutlich früher als die behandelnden Ärzte erkennen, die dann die Entwicklungsstörung und Hypotonie sehen. Im Schnitt beträgt die zeitliche Verzögerung bis zur Diagnosestellung 3.16 Jahre (zwischen 0.69 und 6.25) Jahre.
Diese Daten sensibilisieren behandelnde Ärzte, Therapeuten und Betreuer und ermöglichen eine frühe Diagnose und fachliche Beratung der Eltern. Daneben dienen die Daten dazu bessere, quantitativ zu erfassende Endpunkte für zukünftige klinische Studien zu bestimmen. Die bisherigen Daten zeigen eine genauere Charakterisierung der Phänotypen insbesondere wird der bisher kaum beschriebene spät-infantile Phänotyp, der bei acht Patienten vorliegt, charakterisiert.
Besonders erfreulich ist, dass ein wissenschaftlicher Aufsatz mit den ersten Ergebnissen von der renomierten Fachzeitschrift „Genetics in medicine“ angenommen und veröffentlicht wurde. Dabei sparten die Gutachter nicht mit Lob an der Studie.
Unser medizinischer Beirat Prof. Konrad Sandhoff stellte in einem kurzen Einwurf neue Forschungen bei den AAV-Vektoren vor, die bei den Gentherapien eingesetzt werden. Ziel dieser Arbeit sei es, Vektoren zu entwickeln, um eine Gentherapie trotz Immunantwort wiederholen zu können.
In Kurzreferaten und Workshops mit allen Ärzten, Forschern, der Wiener Psychologin Dr. Saba Harrach, der Logopädin Sabine Apell, dem Orthopädiemeister Mike Unmacht, unserer Trauerbegleiterin Melanie Mende, dem Pflegeberater Markus Oppel und dem Sozialanwalt Philip Koch loteten wir dann am Nachmittag aus, wie das Leben mit der Krankheit erleichtert und verbessert werden kann.
Außerdem berichtete Kristina Kratzer, eine betroffene Mutter, wie sie zur Diagnose Tay-Sachs bei ihrer Tochter Olivia kam, unseren Verein fand und dann mit in die Gentherapie-Studie in Boston aufgenommen wurde, und wie so eine Studie konkret abläuft. Sie dankte unserem Verein und Dr. Eugen Mengel für die große Unterstützung, in die Gentherapie-Studie zu kommen. Und jetzt drückt die ganze große Familie unserer Selbsthilfegruppe der kleinen Olivia die Daumen, dass die Therapie gute Wirkung zeigt. Für Olivia und für alle anderen Kinder, die profitieren können, wenn diese Studie fortgesetzt wird und die Therapie dann auch zugelassen wird.
Wie danken unseren Referenten, allen Helfern und unseren Sponsoren, die dieses Konferenz erst möglich gemacht haben.
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