Zumindest digital waren wir am Wochenende in den USA.

Am Wochenende vom 22. bis zum 25. April fand die 43. jährliche Familienkonferenz der NTSAD statt. Die NTSAD ist die US-amerikanische Selbsthilfegruppe für Tay-Sachs, Sandhoff und GM1. Birgit, Carmen, Stefan und Folker, aber auch unsere medizinischen Beiräte Dr. Eugen Mengel und Dr. Laila Arash-Kaps, verfolgten die medizinischen und andere Fachvorträge. Schwerpunkte waren Substrathemmer und die Gentherapie in den USA. Die wichtigsten Neuigkeiten und Informationen von dieser Konferenz haben Carmen, Stefan, Birgit und Folker für unsere Familien und weitere Interessierte hier zusammengetragen. Bei Fragen stehen wir natürlich gerne zur Verfügung.

In der Session für die infantilen und jugendlichen Betroffenen wurde über drei geplante Studien zu Substratreduktionstherapien (SRT) berichtet:

Die Schweizer Firma Idorsia plant eine Studie mit dem Substrathemmer Sinbaglustat. Luba Trokan berichtete über erste Ergebnisse ihrer natürlichen Verlaufsstudie mit dem Namen „Retrieve“:
In der Studie wurden die Daten von 136 bereits verstorbenen (59 GM1 und 77 GM2) Kindern und 29 lebenden (14 GM1 und 15 GM2) Kindern mit der infantilen Verlaufsform ausgewertet.
Viele dieser Kinder sind aus Deutschland, sie wurden durch die SphinCS mit Unterstützung unserer Selbsthilfegruppe rekrutiert.

In einem nächsten Schritt will Idorsia Sinbaglustat an Patienten mit infantilen Verlaufsformen testen, da sie aufgrund der Daten die Mortalität als geeignetsten Anhaltspunkt für die Effektivität von Sinbaglustat sehen.

Wegen Corona fand die NTSAD-Familienkonferenz ausschließlich digital statt.

Die niederländische Firma Azafaros hat im März 2021 die Phase 1 Studie an gesunden Probanden mit AZ-3102 begonnen, um die Nebenwirkungen zu testen.

Auch Azafaros plant eine natürliche Verlaufsstudie mit Daten von mindestens 75 Patienten. Die Kinder (zwischen 2 und 20 Jahren) haben die spätinfantile oder juvenile Verlaufsform von GM1 oder GM2 und dies werde dann  auch die geplante Gruppe für die Studie.

Es sollen die Kinder in die Studie aufgenommen werden, bei denen die ersten Symptome nach dem ersten Geburtstag auftraten. Azafaros plant die Anmeldephase der Studie für Sommer 2021, die Dauer soll 24 Monate umfassen. Ein Follow-up soll dann 2025 stattfinden, so Ruben Giorgino, Leiter klinische Forschung und Entwicklung.
Das amerikanische Unternehmen Recursion plant eine Studie mit Ruboxistaurin (REC-3599), einem Medikament, das ursprünglich zur Behandlung von Diabetes entwickelt wurde.
Bisher wurden gute Ergebnisse bei Tests in Fibroplasten von Tay-Sachs- und Sandhoff-Patienten erzielt.
Das Medikament ist flüssig, kann somit über die Magensonde verabreicht werden und ist bereits durch die Tests zu Diabetes an 2500 Patienten geprüft worden. Die Studie mit GM2-Patienten soll 2022 beginnen.

Zur Gentherapie haben die Firmen Taysha und Sio einen aktuellen Stand präsentiert.

Anteilnahme, Engagement, Gemeinschaft: Das Motto der NTSAD

Taysha hat gemeinsam mit der NTSAD Patientenbefragungen vorgenommen, um das Studiendesign zu erstellen.

Die Gentherapie wird intrathekal, also über das Hirnwasser einmalig injiziert. Es sollen Kinder behandelt werden, die nicht älter als 12 Monate alt sind. Sie planen den ersten Patienten im zweiten Halbjahr 2021 zu behandeln.
Die Gentherapie der Firma Sio wird in zwei Phasen unterteilt. In der ersten Phase wird die richtige Dosis gesucht, in der zweiten wird mit der geeignetsten Dosis geprüft, wie effektiv die Therapie wird.
Es gibt zwei Patientengruppen, die erste besteht aus infantilen zwischen 6 und 20 Monaten, die zweite aus juvenilen von 2 bis 12 Jahren.
Die Vektoren werden direkt in das Gehirn und zusätzlich über das Rückenmark injiziert. Das erste Kind wurde bereits im Januar damit behandelt. Es stammt aus Europa. Einen Tag nach der Konferenz wurde ein Artikel über den Zustand des Kinder veröffentlicht.
Bei allen Therapien, sowohl den Substratreduktionstherapien als auch den Gentherapien, werden auch Kinder aus Europa inkludiert.

In der Session über Erwachsene wurde über die Ausweitung der Gentherapie auf adulte Patienten berichtet, über eine Studie zur Substratreduktion, über die Intrabio-Studie IB1001 (Tanganil) und über Do’s and Dont’s, also Dinge, die empfohlen werden oder von denen abgeraten wird. Aber es gab auch interessante Neuigkeiten für juvenile Patienten:

Heather Gray-Edwards berichtete über Forschungen an einer Gentherapie für Erwachsene, die in Tiermodellen bereits erfolgreich durchgeführt worden seien. Mitte 2021 werde man einen Antrag bei der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA stellen, um eine Studie mit erwachsenen Patienten starten zu können.
Gute Neuigkeiten gab es auch von der weltweiten Amethist-Studie, mit der die Pharmafirma Sanofi-Genzyme den Substrathemmer Venglustat an Patienten testen will. Bislang sollten neben den 57 erwachsenen Patienten nur sieben juvenlie Tay-Sachs- oder Sandhoff-Patienten aufgenommen werden. Diese Zahl wurde inzwischen auf 20 erhöht und um juvenile GM1-Patienten erweitert. Die Patienten müssen mindestens zwei Jahre und dürfen noch keine 18 Jahre alt sein und müssen mindestens 10 Kilogramm wiegen.
Es wurde noch einmal dargestellt, wie Venglustat bei GM2, aber auch bei anderen lysosomalen Speicherkrankheiten, wie z.B. Gaucher und Fabry, wirkt.
Sanofi-Genzyme stellte zudem ein Poster vor, auf dem die „Reise eines erwachsenen GM2-Patienten“ dargestellt wird. Es geht um die Symptome, Diagnose und Falsch-Diagnose sowie das Leben mit Tay-Sachs und Sandhoff. An der Umfrage für dieses Poster haben auch Patientinnen und Patienten aus unserer Selbsthilfegruppe teilgenommen.
Die Studie von Intrabio mit IB 1001 („Tanganil“) ist wegen Corona bei GM-2 noch nicht abgeschlossen. Ergebnisse gibt es lediglich für Niemann-Pick. Allerdings könnten wegen der Ähnlichkeit der Erkrankungen einige grundlegende Erkenntnisse auf GM-2 übertragen werden, so Taylor Fields von Intrabio.
So wurden deutliche Verbesserungen bei Patientinnen und Patienten beobachtet, aber auch Verschlechterungen während der Auswaschphasen. IB 1001 war insgesamt gut verträglich, es wurden keine schwerwiegenden Nebenwirkungen beobachtet, die einer Behandlung bedurft hätten.
Als Beispiel der Wirksamkeit wurde wieder ein Video mit Dario gezeigt, das aus der Vorbereitungsstudie stammt. Insgesamt vier Patientinnen und Patienten unserer Selbsthilfegruppe nahmen an diesen individuellen Heilversuchen der Uni München teil.
Außerdem gab es ganz praktische Tipps zur Ernährung, Medikamenten und Verhaltensweisen von Camilo Toro, die adulten Patienten empfohlen, oder von denen abgeraten wird. Die wichtigsten Punkte dabei:
Es wird auf jeden Fall eine Corona-Impfung empfohlen, allerdings mit einem mRNA.Impfstoff.
Es wurden drei Psychopharmaka, bzw. Wirkstoffe genannt, die für erwachsene Tay-Sachs und Sandhoff-Patienten nicht empfohlen werden, weil sie sich negativ auf die Grunderkrankung auswirken können: Haloperidol, Risperidone und Chlorpromazine.